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Russland fühlt sich bedroht?

Nicht erst seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist immer wieder die Rede davon, dass die (böse und aggressive) NATO an (das gute und friedliche) Russland herangerückt sei. Eine sehr eigenartige Sichtweise der Betrachtung.

Schauen wir einmal in die Vergangenheit: Die NATO wurde 1949 gegründet als Verteidigungsbündnis der Westmächte gegen die damalige Sowjetunion. Während des Weltkriegs kämpften die Alliierten gegen Hitler, nach 1945 zerfiel das Bündnis jedoch.

Berlin-Blockade und Beginn des Kalten Krieges

Im Juni 1948 begann die Sowjetunion mit der Blockade Berlins. Die Land- und Wasserverbindungen nach Berlin wurden gekappt, die Russen hofften, die Westmächte USA, England und Frankreich würden West-Berlin verlassen und sie könnten auf diese Weise die Kontrolle über die gesamte Stadt erlangen.

Statt Berlin aufzugeben wurde die Stadt durch die Luftstreitkräfte der USA und Großbritanniens versorgt: alle Waren, angefangen von Lebensmitteln über Werkzeug bis zur Kohle fürs Heizen, wurden über eine Luftbrücke in die Stadt geschafft. Zu Spitzenzeiten landete alle drei Minuten eine Maschine, von den Berlinern liebevoll „Rosinenbomber“ genannt. Täglich wurden 2.000 Tonnen Material in das blockierte Berlin gebracht. Ähnlich wie jetzt reagierte der Westen zusätzlich mit Handels-Sanktionen auf die Aggression – und nach 11 Monaten gaben die Sowjets auf und beendeten die Blockade.

Durch die Berlin-Blockade wurde deutlich, dass die Sowjetunion für die Länder des Westens kein verlässlicher Partner mehr war – vor allem auch nachdem Stalin der Auffassung war, wer als Militärmacht ein Gebiet besetzt, der kann auch über das Gesellschaftssystem bestimmen. Daher wurde in den Gebieten, die von der russischen Armee auf ihrem Vormarsch gen Westen erobert worden waren, sozialistische bzw. kommunistische Regimes eingerichtet: in Bulgarien, Albanien und Polen 1944, in Ungarn 1945 sowie in Rumänien und in der Tschechoslowakei 1948. Die Blockade Berlins war nur ein Baustein unter mehreren, um alle Länder Osteuropas unter die kommunistische Herrschaft zu bringen.

Ein Verteidigungsbündnis muss her

Mit Beginn des Kalten Krieges wurde die militärische Bedrohung durch den Ostblock immer deutlicher. Die westeuropäischen Staaten wandten sich an die USA, um im Fall einer möglichen sowjetischen Aggression von dort militärischen Beistand zu bekommen. Vor diesem Hintergrund wurde im April 1949 die NATO gegründet: als Bündnis gegen mögliche militärische Auseinandersetzungen. Zu den Gründungsstaaten gehörten Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA. 1952 traten Griechenland und die Türkei bei, 1955 kam Deutschland dazu. Insgesamt sind es heute 30 Staaten in Europa und Nordamerika, die Mitglied in der NATO sind. Grundlage des Vertrags ist das Bekenntnis zu Frieden, Demokratie, Freiheit und zur Herrschaft des Rechts.

Der Warschauer Pakt als Gegenbündnis

Im Gegenzug organisierte die Sowjetunion 1955 die Gründung des Warschauer Pakts, ebenfalls als militärischer Beistandspakt. Zum Warschauer Pakt gehörten neben der Sowjetunion noch Albanien, Bulgarien, Polen, Rumänien, Ungarn sowie die Tschechoslowakei. Die DDR trat 1956 bei, wenige Tage nach der Gründung der Nationalen Volksarmee.

Die Mitgliedsländer der NATO in verschiedenen blauen Farben (je nach Zeitraum des Beitritts), die Mitgliedsländer des Warschauer Paktes in roter Farbe.

Während der Beitritt bei der NATO freiwillig erfolgte, um sich gegenseitig vor der Militärmacht des Ostblocks zu schützen, war der Beitritt zum Warschauer Pakt von oben vorgegeben und ebenso war Treue gegenüber der Sowjetunion erzwungen.

Der Wunsch nach Freiheit wird stets militärisch niedergeschlagen

Der Versuch einiger Länder, sich aus der „brüderlichen“ Umklammerung des Bruderstaates Sowjetunion zu befreien, wurde militärisch und zum Teil auch blutig niedergeschlagen. So geschehen 1953 in Berlin beim Aufstand des 17. Juni, 1956 in beim Ungarischen Volksaufstand und nochmals 1968 in der Tschechoslowakei beim Prager Frühling. In der Folge dieses Aufstands wurde die Breschnew-Doktrin verkündet: „Die Interessen und die Souveränität einzelner sozialistischer Staaten finden ihre Grenzen an den Interessen und der Sicherheit des gesamten sozialistischen Systems“ – damit wurde die Unfreiheit der Ostblock-Länder festzementiert.

Die Sowjetunion zerfällt – und mit ihr der Warschauer Pakt

Dennoch gab es in der Zivilgesellschaft verschiedener Länder starke Bestrebungen, mehr Bügerrechte und Freiheit zu erlangen. Ein Beispiel ist die Gewerkschaftsbewegung 1980 in Polen, die zur Gründung der Solidarność führte – diese Bewegung wurde sowohl von regimekritischen Köpfen als auch von großen Teilen der katholischen Kirche unterstützt, es entstand eine echte Volksbewegung, die sich gegen die kommunistische Herrschaft richtete. Aber die Sowjetunion duldete keine Freiheit, keine Bürgerrechte, keine Demokratiebewegung – alle Ansätze dieser Art wurden gnadenlos unterbunden, Dissidenten zum Teil verhaftet und in ein Lager geschickt oder sogar ermordet.

Wie gut, dass kein sozialistisches Land jemals zu einem wirtschaftlichen Erfolg geworden ist, im Gegenteil: sozialistische Länder waren schon immer gekennzeichnet von einer Mangelwirtschaft und einer darbenden Bevölkerung (während es sich die Parteibonzen auf ihren Datschen gut gehen ließen). So kam es auch zum wirtschaftlichen Niedergang der Sowjetunion, irgendwann waren die Kassen leer und das Land mitsamt der Infrastruktur marode. Als Michail Gorbatschow antrat, versuchte er mit Glasnost und Perestroika den Umbau des Riesenreiches. Aber die Zwangsmitglieder des Warschauer Paktes hatten genug von der Vorherrschaft der Sowjetunion, so konnten sie die Schwäche des maroden Reiches ausnutzen, um sich aus der „brüderlichen“ Umklammerung zu befreien – der „Eiserne Vorhang“ fiel und der Warschauer Pakt löste sich auf.

Streitpunkt Osterweiterung der NATO

Mit der maroden Sowjetunion und dem friedlich gesinnten Gorbatschow war die Angst vor der Militärmacht verschwunden. Es gab sogar Überlegungen, für die Zukunft eine neue gemeinsame Sicherheitsarchitektur mit Russland zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund äußerten einige Politiker u.a. im Zusammenhang mit den Gesprächen zum Zwei-plus-Vier-Vertrag die NATO solle und werde sich nicht in den Osten erweitern. Das waren jedoch mündliche Äußerungen, im Vertrag selbst wurde das in dieser Form nicht fixiert.

Russland als Kernland der zerfallenen Sowjetunion wurde zu einem instabilen Land, in dem Flügelkämpfe um die weitere Richtung entbrannten. 1993 kam es zu einer Verfassungskrise. Die Zukunft schien plötzlich gar nicht mehr so sicher. Dann kamen aggressive russische Militäraktionen wie die Kriege in Tschetschenien, in Transnistrien und in Abchasien. Und damit kam die Angst der mittel- und osteuropäischen Länder vor einem allzu starken Russland zurück. Länder wie Polen, Tschechien und Ungarn war es wichtig, in die NATO zu kommen, um im Fall eines Überfalls geschützt zu sein.

Es war gewiss nicht so, dass sich die NATO unbedingt im Osten ausdehnen wollte, es war wohl eher so, dass die Länder im Osten unbedingt in die NATO aufgenommen werden wollten. Zum Beispiel sprachen sich 1997 in einem Referendum 85,3 % der Ungarn für den Eintritt in die NATO aus.

Die Angst vor einem unberechenbaren und oft genug gewalttätigen Russland hat historische Hintergründe, die nicht einfach vom Tisch gewischt werden können!

Auch bei anderen Ländern war es gewiss nicht so, dass die NATO irgendeinen Druck ausgeübt hätte, sich anzuschließen, weil es das Bestreben der NATO war zu expandieren. Nein, auch bei anderen Ländern war es umgekehrt, sie strebten danach, NATO-Mitglied zu werden. So wurden 2004 auch Bulgarien, die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, dazu noch Rumänien, die Slowakei und Slowenien neu aufgenommen. Als weitere Mitglieder folgten Albanien und Kroatien (2009), Montenegro (2017) und schließlich noch Nordmazedonien (2020).

Nicht erst seit der Annektierung der Krim und des Donbass streben jetzt auch noch Bosnien und Herzegowina, Serbien, Georgien und die Ukraine danach in die NATO aufgenommen zu werden.

Russland sieht logischerweise seinen möglichen Einfluss schwinden und natürlich will Russland verhindern, dass sich noch mehr Länder der NATO anschließen wollen. Daher verbreitet Russland das Narrativ, die NATO würde sich aktiv ausdehnen mit der Absicht, Russland zu bedrohen. Interessanterweise hat Putin selbst im Jahr 2004 den Baltischen Staaten zum NATO-Beitritt gratuliert (weitere Details finden sich übrigens hier auf Wikipedia). Und: Wer die Geschichte der letzten Jahre anschaut, wird feststellen, dass der Frieden in Europa eher durch Russland bedroht wird. Das Argument „Sicherheitsinteressen Russlands“ lässt sich hinterfragen mit den Sicherheitsinteressen der ehemaligen Ostblock-Länder: diese fühlen sich ohne ein Bündnis nicht sicher und wollen daher in das Bündnis rein.

Stellt sich die Frage für Völkerrechtler, wessen Sicherheitsinteressen eigentlich eher gelten sollten: die Sicherheitsinteressen eines großen Landes, das in der Vergangenheit häufig Kriege angezettelt hat, oder die Sicherheitsinteressen der umliegenden kleineren Länder, die einfach nur in Frieden und Freiheit leben wollen.

Wir von der LKR denken, jedes Land solle das Recht haben, seine Gesellschaftsform frei zu wählen und in Frieden und Freiheit zu leben. Wir haben jedoch Zweifel, ob Frieden und Freiheit für Russland derzeit einen hohen Stellenwert haben. Im Zweifelsfall sollten kleinere Länder vor einer erneuten „brüderlichen“ Umarmung geschützt werden.

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